Text: Corina Rink
Foto: Corina Rink
„Von Strohhalmen und Schilden“ – so lautete das Thema der diesjährigen Jahrestagung des Fachbereichs Pflegefamilien des St. Elisabeth Verein e.V. Marburg. Der Schwerpunkt der Fachtagung lag in diesem Jahr auf dem Thema Selbstfürsorge und dies wurde im Rahmen eines Vortrages sowie Workshops durch Referent Tom Gerritz aus Marburg (Coach, Schauspieler, Dozent) vorgetragen und begleitet.
Es hatten sich knapp 40 Personen zu dieser Wochenendstagung im ACHAT Hotel in Offenbach zusammengefunden.
Was kann man tun, um selbst gesund und stabil zu bleiben?
Gerritz begann seinen Vortrag mit einem – wie ich finde – einleuchtenden Beispiel und zeigte eine Schautafel aus einem Flugzeug, welche darauf hinweist, dass man im Falle eines Druckabfalls in der Kabine zunächst selbst die entsprechende Atemmaske aufzieht und erst danach anderen zur Hilfe geht. So stimmte er die Pflegeelterngruppe darauf ein, dass es auch im übertragenen Sinne unbedingt notwendig ist, zunächst selbst stabil zu sein, um sich dann für andere einsetzen zu können bzw. mit anderem zu beschäftigen.
Angefangen beim ganz normalen Atmen bis hin zur bewussten Entspannung und Regulation wurden im Anschluss an diese wertvolle Erkenntnis verschiedene Übungen angeleitet und gemeinsam mit allen durchgeführt.
Mit Hilfe von Moderationskarten wurde in kleinen Gruppen zusammengetragen, was die Pflegeeltern selbst in ihrem Alltag an Selbstfürsorge betreiben. Man tauschte sich darüber aus und durfte am Ende in ein eigenes kleines Notizbuch eintragen, was man ganz konkret in den nächsten Tagen für sich tun möchte.
Gerritz wies auch darauf hin, dass ja allgemein bekannt sei, dass auch Kinder am Modell lernen und es auch in diesem Kontext wichtig sei, hinsichtlich eigener Stressregulation als gutes Vorbild voran zu gehen.
Es wurde notiert, was die Teilnehmerinnen bewegt und beschäftigt, was sie im Alltag motiviert und anspornt.
Gemeinsam wurde gelacht, geplaudert und diskutiert.
Schwerpunkt wurde auch auf das Thema „Leben im Hier und Jetzt“ gelegt.
Die Wichtigkeit sich im Augenblick zu spüren und achtsam mit sich und der Umwelt zu sein, wurde im Rahmen einer Übung veranschaulicht. So konnten sich alle einmal darin üben, ihre Aufmerksamkeit für zwei Minuten jeweils ausschließlich dem Sehen, Hören und Spüren zu widmen.
Gerritz stellte den Pflegeeltern das BANI-Modell vor.
BANI ist ein Akronym und stammt vom amerikanischen Zukunftsforscher Jamais Cascio. Es zielt darauf ab, die aktuellen Entwicklungen (auf der Welt) zu veranschaulichen und verständlicher zu machen – um dann besser reagieren zu können zum Thema Sicherheit.
Es bedeutet übersetzt:
B= brittle, brüchig
A= anxious, ängstlich
N= non-linear, nicht linear
I= incomprehensible, unfassbar
Wenn man sich die Begriffe bewusstmacht, kann man bessere Antworten finden auf die Frage, wie man selbst mehr Sicherheit erlangen kann in einer unsicheren Welt.
Gemeinsam mit den Teilnehmenden wurde auch eine Übung namens „sicherer Ort“ durchgeführt. Es handelt sich um eine hochwirksame, beispielsweise in der Traumatherapie vielfach durchgeführte Imaginations-Übung, die hilfreich ist, besonders wenn es um die eigene Angst- und Stressregulation geht. Es ist vielfach wissenschaftlich belegt, dass es dem Gehirn egal ist, ob es die Erfahrung von Sicherheit und Wohlbefinden tatsächlich macht oder es nur eine Vorstellung (Imagination) von Sicherheit erhält. Die Reaktion ist identisch. (siehe u.a. Reddemann, L. (2001): Imagination als heilsame Kraft. Stuttgart: Klett-Cotta)
Was hilft uns im Alltag, was sind Faktoren für Sicherheit?
- Ein erheblicher Sicherheitsfaktor kann Körperkontakt sein, da das Hormon Oxytocin dann ausgeschüttet wird, welches unter anderem zuständig ist für Wohlbefinden.
- Beziehungen zu anderen sind allgemein sehr wichtig.
- Ressourcen können sehr viel Sicherheit geben, beispielsweise Besitz, Geld, ein Zuhause, Verträge/Arbeitsverträge usw.
- Unsere Fähigkeiten und Erfahrungen helfen uns ebenso wie routinierte Abläufe im Alltag, ein sicheres Gefühl zu erhalten.
- Nicht zu vergessen sind Glaube und Spiritualität sowie Religion, die bei vielen Menschen ebenfalls zum Sicherheitsgefühl und Stabilität beitragen.
Im Rahmen von s.g. ′Stationen-Gesprächen′ wurden in Kleingruppen die folgenden Fragen diskutiert: ′Was hat mich in den letzten Jahren getragen?′ und ′Was macht mir besonders Freude als Pflegefamilie?′ Die Ergebnisse wurden anschließend erneut im Notizbuch festgehalten.
Die Pflegeeltern konnten sich darüber hinaus einander mitteilen, was sie selbst bereits für ihr Sicherheitsgefühl tun oder was erstrebenswert wäre, zukünftig mehr zu pflegen.
Im Zweierteam wurde ein gemeinsames Bild gemalt ohne dabei miteinander zu sprechen. Diese Selbsterfahrungsübung zielte darauf ab, herauszufinden, was hilfreich war, um gemeinsam am Ziel anzukommen, ohne sich (verbal) mitzuteilen. Welche Strategien haben geholfen und was war störend, so die darauffolgende Frage. Toleranz, Empathie, Intuition, sowie Ergebnisoffenheit wurden unter anderem genannt und man beschäftigte sich damit, ob diese Erfahrung auch übertragbar sei auf andere Lebenssituationen.
Das ACHAT Hotel ist ein umgebauter alter Schlachthof und besticht als beeindruckendes Gebäude. Der Backsteinbau verbunden mit modernen architektonischen Elementen sowie Glas sorgt für eine ganz besondere Atmosphäre. Vom Hotel aus wurde wunderbares Essen angeboten und es war ausreichend Möglichkeit gegeben, sich als Pflegefamilie auch am Abend mit anderen zu unterhalten und Spaß zu haben.
Am Sonntagmorgen stellte sich die Vertrauensgruppe des Fachbereichs vor, die es seit vielen Jahren gibt. Die Pflegeväter Uwe Wüst und Detlef Wirth ermutigten die Anwesenden, sich an den vielfältigen Aufgaben zu beteiligen.
Die Vertrauensgruppe setzt sich unter anderem auch für politische Fragen in Bezug auf das Pflegefamiliensein ein. Sie hat in der Vergangenheit beispielsweise auch Politiker eingeladen und vieles auf den Weg gebracht. Wer Interesse habe könne sich jederzeit im Fachbereichsbüro der Pflegefamilien melden, um weitere Informationen darüber zu erhalten. Ebenso sei es jederzeit möglich an einer Sitzung der Vertrauensgruppe teilzunehmen, so Wüst und Wirth.
Darüber hinaus gab es durch die Fachberatungen eine kurze Information über den seit 2019 bestehenden Förderverein für Pflegekinder. Der Förderverein unterstützt Pflegekinder während und nach dem Aufenthalt in der Pflegefamilie, wenn andere Finanzierungsmöglichkeiten nicht (mehr) gegeben sind. Es erfolgte ebenso ein Aufruf zur Mitgliedschaft, da sich der Förderverein ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert. (https://www.foerderverein-pflegekinder-deutschland.de)
Es wurden noch einige Termine bekanntgegeben, unter anderem die der jährlich stattfindenden und sehr begehrten Mütterwochenenden und Väterwochenenden.
In 2025 findet das Mütterwochenende vom 13.06. bis 15.06.2025 statt.
Das nächste Väterwochenende findet bereits vom 23.05. bis 25.05.2025 statt.
Die Jahrestagung 2024 endete gegen Mittag mit einer weiteren Stabilisierungs- und Imaginationsübung namens Baumübung.
Die Pflegeeltern konnten gestärkt, hoffentlich tief verwurzelt und ganz bei sich selbst angekommen, nach einem letzten kleinen Mittagsimbiss, also satt, (auch im übertragenen Sinne) die Veranstaltung verlassen.
Alle verabschiedeten sich voneinander mit einem dankbaren Gefühl, endlich mal wieder mit anderen gesprochen, sich ausgetauscht sowie gut für sich gesorgt zu haben.